Von einem Luftschloss ist die Rede, wenn sich jemand utopische, unerreichbare Hoffnungen macht. Auch die Werke des Architekten, Ingenieurs und Künstlers Hans-Walter Müller könnte man gewissermaßen als Luftschlösser bezeichnen, bestehen seine „Gonflables“ genannten Gebäude doch hauptsächlich aus: Luft. Aber anders als es die Redewendung nahelegt, sind seine Werke nicht Utopie, sondern gelebte Wirklichkeit. Seit mehr als 50 Jahren hat sich Hans-Walter Müller dem Bauen mit Luft verschrieben und wie kein Zweiter seine Grenzen ausgelotet. Aus robusten PVC-Planen gefertigt, begeistern die innovativen Gonflables seit jeher und fanden weltweit Anwendung für zahlreiche Anlässe. Jüngst würdigte das Architekturzentrum Tirol den Pionier der Tragluftvolumen mit einer Ausstellung.
Ein Leben für die pneumatische Architektur
Hans-Walter Müller wurde 1935 in Worms geboren und studierte an der TH Darmstadt und ab 1961 an der École des Beaux-Arts in Paris. Interessierte er sich zunächst für Projektionen von Licht und Bild, entdeckte er Mitte der 1960er schließlich die bewegte Architektur für sich – es sollte zu seinem Lebensthema werden. Größere Bekanntheit erlangte er 1969 mit einer gerade mal 40kg schweren aufblasbaren Kirche, die er auf Anfrage der Pfarrei Montigny-lès-Cormeilles herstellte.

Seither folgten zahlreiche Aufträge zunächst aus der Kunst- und Theaterszene, später auch von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. So fertigte er in den 1970ern ein Theater mit 800 Sitzplätzen für das Festival Nuits de la Fondation Maeght und ein Atelier für den Künstler Jean Dubuffet, der darin seine Skulptur „Jardin d’hiver“ schuf. Seither tüftelte Müller unermüdlich an seinen pneumatischen Architekturen, verbesserte die Belüftungssysteme und fand Lösungen für den Luftaustausch und den Druckverlust an Türen.
PVC-Gonflables: Vielfältig einsetzbar
Das Funktionsprinzip seiner Tragluftvolumen ist dabei so einfach wie ausgeklügelt: Mithilfe einer Hochfrequenzschweißmaschine verbindet Müller die Schnittmuster der Kunststoffbahnen zu Räumen verschiedener Größe. Ein Ventilator bringt schließlich Luftdruck in das Gebäude, der allseitig mit gleicher Kraft auf jeden Punkt im Raum wirkt und den Gonflables so ihre Stabilität verleiht.

Müllers luftgetragene Architekturen wissen mit einer Reihe von Vorzügen zu überzeugen: Sie sind leicht, schnell aufgebaut und flexibel einsetzbar. Dass die Konstruktionen damit auf großen Anklang stießen, zeigt der Blick auf Müllers reiches Œuvre: Als Ausstellungszelte, Theater- und Konzerthallen und sogar als temporäre Einkaufszentren und Obdachlosenheime fanden die Gonflables breite Anwendung in unzähligen Bereichen. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten haben die PVC-Volumen vorrangig ihrem leichten Gewicht zu verdanken: Da sie nur wenig wiegen, können bei minimalem Überdruck Räume beliebiger Größe für verschiedene Nutzungskonzepte geschaffen werden.

Leicht und flexibel
Gonflables sind ein Gegenentwurf zur starren Architektur, nicht für die Ewigkeit geschaffen, sondern flüchtige Konstruktionen. Das macht sie zur idealen Lösung überall dort, wo temporäre Konzepte gefragt sind. In nur wenigen Minuten aufgeblasen, sind die PVC-Volumen schnell aufgebaut – und das bei minimalem Materialeinsatz. Werden die pneumatischen Bauten nicht mehr benötigt, sind sie ebenso schnell wieder abgebaut und können platzsparend transportiert und gelagert werden.

Gerade auch für den Einsatz in der Kunst- und Messeszene scheinen die Tragluftvolumen wie gemacht: Die opaken, transparenten und transluzenten PVC-Bahnen schaffen eine einzigartige Raumatmosphäre, die sich mit den Tages- und Jahreszeiten ändert und die man aufgrund der stützenlosen Konstruktion ungestört genießen kann. Und vor allem im Zusammenspiel mit Projektionen und Musik bieten die Volumen Besuchern ein einmaliges immersives Erlebnis.
Auch für dauerhafte Nutzung geeignet

Kritiker der pneumatischen Architektur beklagen vielfach, dass Gonflables nicht für eine dauerhafte Nutzung gedacht sind. Das Gegenteil beweist jedoch Müller selbst: Seit 1971 bewohnt er mit dem M210 ein solches Volumen in La Ferté-Alais bei Paris. Denkbar ist dies nicht nur dank der zähen und widerstandskräftigen PVC-Planen, die vor Niederschlag und UV-Strahlung schützen, sondern auch durch die Möglichkeit, Luftzufuhr und Druck zu steuern und somit an schlechte Wetterbedingungen anzupassen. In Zeiten der Wohnungsnot und des Baustoffmangels könnte eine solche pneumatische Architektur damit in Zukunft eine größere Bedeutung zukommen. Luftschlösser, so zeigt Hans-Walter Müllers Werk eindrucksvoll, brauchen damit kein Wunschtraum mehr zu sein.